Immunsignatur Experten in Perspektive
Prof. Dr. Stefan Reber über die langfristigen Effekte von Keimfreiheit auf das Immunsystem
Prof. Dr. Stefan Reber ist Experte für Psychosomatik und Neuroimmunologie. Er arbeitet im Bereich der psychosomatischen Medizin und Psychotherapie im Universitätsklinikum Ulm und forscht in der Physiologie, Neurowissenschaft und der Psychoneuroimmunologie.
Perspektivwechsel Immunsignatur Lebensstilmedizin

Psychosozialer Stress äußert sich durch unser Immunsystem auf körperlicher Ebene. Dauerhafter sozialer Stress kann zum Beispiel zu einer chronischen Darmentzündung führen. Emotionen sind stark, denn sie bringen uns in Bewegung um mit unserem Umfeld  zu interagieren. Fahle Haut, verringerte Muskulatur, Verdauungsprobleme oder Müdigkeit sind alles Auswirkungen der Reaktion unseres Immunsystems auf dauerhaften Stress, den es nicht tolerieren kann. 

Psychologischer & Psychosomatischer Stress

Psychologischer und psychosomatischer Stress wirkt sich direkt auf die Zellen des Immunsystems aus. Da die Immunzellen als Rezeptor (Empfänger) von Stresshormonen dienen. Stresshormone wie zum Beispiel Adrenalin und Noradrenalin beeinflussen die Funktion unseres Immunsystems. Hierbei kommt es stark auf die Intensität und Dauer der Hormonausschüttung an.  



Langzeitstress hat eine inhibitorische (hemmende) Wirkung auf unser Immunsystem.
Krankheiten, die mit einem chronisch aktivierten Immunsystem einhergehen, sind zum Beispiel chronische Entzündungen und damit Diabetes, Gelenkentzündungen, Allergien, Darmentzündungen oder auch cardiovaskuläre Krankheiten (CVD).
Krankheiten, die mit einem gehemmten Immunsystem einhergehen sind zum Beispiel Infektionen oder Krebs.
WICHTIG: es ist kein entweder-oder zwischen chronisch aktiviertem oder gehemmtem Immunsystem. Das Immunsystem sollte akut stark aktivieren können wenn es muss, aber sich auch schnell wieder runterregulieren können, wenn die Arbeit getan ist. Das verhindert, dass es chronisch aktiviert ist und dass es zu schwach ist, sich überhaupt zu aktivieren. 

Transplantation von Immunzellen

Mikroorganiosmen und die Auswirkung auf den Körper:

Wir können beobachten, dass unser Immunsystem die Schnittstelle zwischen Stress und den uns bekannten Konsequenzen des Stress (körperliche Ausprägung (Phenotyp) ist.
Durch das Transplantieren von CD4(T-Helferzellen) von chronisch gestressten Mäusen in normale Mäuse wurde genau diese Anpassung beobachtet. Chronisch gestresste Mäuse zeigen eine gebräuchlichere und schwächere Leistungsfähigkeit und weniger Widerstandskraft als normale Mäuse. Wenn die Immunzellen der chronisch gestressten Mäuse nun in die normalen Mäuse transplantiert werden, machen sich dieselben körperlichen Auswirkungen bemerkbar, obwohl die normalen Mäuse nie chronischem Stress ausgesetzt waren.
Das zeigt, wie eng unser Immunsystem und die Darmmikroben, welche unser Immunsystem erziehen und trainieren, mit unserem körperlichen Erscheinungsbild sowie unserer Gesundheit und Leistungsfähigkeit verknüpft sind.

Mikrobiom im Darm 

Wir haben seit 1,2 Millionen Jahren in und mit der Natur gelebt. Wir hatten immer Kontakt zu Mikroorganismen. Heutzutage haben wir diesen Kontatkt zur Natur und damit auch zu sämtlichen Mikroorganismen viel viel weniger. Wir leben sehr steril. Das hat zur Folge, dass unser Immunsystem sämtliche Mikroorgansimen vergisst und verlernt mit ihnen umzugehen oder zu interagieren. Alles was nun fremd und neu ist wird direkt stark angegriffen, da es seltener zu einem Kontakt kommt.

Dadurch, dass wir heutzutage viele Mikroorganismen verloren und keinen regelmäßigen Kontakt mehr zu ihnen haben, reagiert unser Immunsystem bei einem Kontakt über. Das hat dann Immunantworten wie Allergien zur Folge, bei dem unser Immunsystem überreagiert und Schwierigkeiten hat, sich wieder zu regulieren. 

Grundlagenforschung Maus und Mensch 

Mäuse und Menschen sind nicht gleich. Allerdings sind die Entzündungsprozesse und die Stressantwort in Mäusen sehr ähnlich zu denen beim Menschen.

Menschen aus der Stadt haben generell weniger Kontakt zu Mikroorganismen als die Landbevölkerung. Das ist auch auf immunologischer Basis nachvollziehbar. Das Immunsystem von Städtern reagiert in der Regel über und hat mehr Schwierigkeiten sich wieder zu regulieren im Vergleich zu dem Immunsystem der Landbevölkerung. Das liegt daran, dass die Landbevölkerung in der Regel mehr Kontakt zu Mikroorganismen hat und somit das Immunsystem eine diversere Erziehung/Training erhält.


Ein früher und regelmäßiger Kontakt zur Natur und einer Vielfalt von Mikroorganismen verbessert das Immunsystem und sorgt dafür, dass unser Immunsystem nicht überreagiert wenn es auf Mikroorganismen stößt. Zudem hat es die Fähigkeit, sich schnell wieder zu regulieren um somit einer chronischen Entzündung vorzubeugen.

Old Friends – Alte Mikroorganismen


Unser Nervensystem ist stressresistenter wenn wir bereits von klein auf mit einer Vielzahl von Mikroorganismen konfrontiert werden. Diese werden gespeichert und bei späterem Kontakt abgerufen. Das sorgt dafür, dass unser Immunsystem eine breite Erfahrung bekommt und somit mehr Selbstbewusstsein im Umgang mit Mikroorganismen hat, die ständig auf es einwirken. Es hilft dem Immunsystem zu verstehen, wann es hart und entschlossen agieren muss, wann es sich wieder beruhigen muss und an welchem Punkt es garnicht stark reagieren muss.

Kleine Feinheiten wie diesen können den Unterschied zwischen einer chronischen Entzündung und einer akuten Entzündung (Reaktion des Immunsystems) ausmachen.

Aktivierung des Immunsystems ?

Wir sind nicht in der Lage zu spüren, wie aktiv unser Immunsystem ist. Wir können körperliche Reaktionen auf Stress, wie zum Beispiel schwitzige Hände wahrnehmen, jedoch nicht, wie aktiv unser Immunsystem gerade ist. Ebenso wenig können wir wahrnehmen, ob und wie sich unser Immunsystem selbst wieder reguliert.

Was nachgewiesen werden konnte ist, dass das Immunsystem der Städter stärker und länger auf Mikroorganismen reagiert als das Immunsystem der Landbevölkerung.

Besonders problematisch wird es nun, wenn wir eine konstante Stressbelastung ohne jeglichen Ausgleich haben und dazu noch eine schlechte Regulation der Immunantwort. Dann sind chronische Krankheiten und Entzündungen, eine Metaflammation, die Folge.

Publications

Laboratory for Molecular Psychosomatics

  • Amoroso M, Kempter E, Langgartner D, Gross P, Reber SO. Inducing a stressed phenotype in healthy recipient mice by adoptively transferring CD4+ lymphocytes from mice undergoing chronic psychosocial stress. Psychoneuroendocrinology 122, 104898.
  • Langgartner D, Marks J, Nguyen TC, Reber SO. Changes in adrenal functioning induced by chronic psychosocial stress in male mice: a time course study. Psychoneuroendocrinology 122, 104880.
  • Langgartner D*, Zambrano CA*, Heinze JD, Stamper CE, Böbel TSHackl SB, Jarczok MN, Rohleder N, Rook GA, Gündel H, Waller C, Lowry CA, Reber SO. Association of the salivary microbiome with animal contact during early life and stress-induced immune activation in healthy participants. Frontiers in Psychiatry 11: Article 353.
  • Foertsch SLanggartner DReber SO. Abdominal surgery prior to chronic psychosocial stress promotes spleen cell (re)activity and glucocorticoid resistance. Nature Scientific Reports 113: 169-178
  • Foertsch S & Reber SO. The role of physical trauma in social stress-induced immune activation. Neuroscience & Biobehavioral Reviews 113: 169-178 
  • Wohnhaas CT, Schmid R, Rolser M, Kaaru E, Langgartner D, Rieber K, Strobel B, Eisele C, Wiech F, Jakob I, Gantner F, Herichova I, Vinisko R, Böcher WO, Visvanathan S, Shen F, Panzenbeck M, Raymond E, Reber SO, Delić D, Baum P. Fecal microRNAs show promise as non- invasive Crohn ́s disease biomarkers. Crohns & Colitis 360_2 (1) 1-12 
  • Amoroso M, Böttcher A, Lowry CA, Langgartner D*, Reber SO*. Subcutaneous Mycobacterium vaccae promotes resilience in a mouse model of chronic psychosocial stress when administered prior to or during psychosocial stress. Brain Behavior and Immunity 87: 309- 317
  • Langgartner D, Lowry CA, Reber SO. „Old Friends“, Immunregulation und Stressresilienz – Teil 1: Theoretische Grundlagen. Nervenheilkunde 39: 47-54.

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